Wirkt es oder wirkt es nicht…

Neulich…

…traf ich eine ehemalige Klientin wieder und wunderte mich, dass die
lebensgewandte, energische, schon etwas ältere Geschäftsfrau nach der
Begrüßung mir gegenüber etwas verhalten wurde. Und nach einigem
Herumdrucksen kam dann die Rückmeldung: „Ja, also wissen Sie, das mit der
Aufstellung damals, da hatte ich mir ja doch was mehr versprochen. Es hat
sich ja nichts geändert.“

‚Dä‘, dachte es in mir ganz rheinisch, ‚das sind die Situationen, auf die eine
Therapeutin mit großer Sehnsucht wartet! Eine Klientin beschwert sich, und
das auf offener Straße. Wie kommste denn aus der Nummer wieder raus?!‘

Nach zweimaligem tiefem Luftholen entschloss ich mich, den Stier bei den
Hörnern zu packen und – obwohl ich doch eigentlich nur ganz privat im Dorf
unterwegs war, um eine Freundin zu besuchen – mich auf ein Gespräch
einzulassen. Wohlgemerkt: Die Aufstellung ist gefühlte drei Jahre her. Wie
sollte ich da die Einzelheiten noch auf dem Schirm haben?! Inzwischen habe
ich Tausende von Aufstellungen mit den unterschiedlichsten
Aufgabenstellungen hinter mir (ganz abgesehen von den eigenen Themen, an
denen ich beharrlich arbeite) und pflege doch das von mir so bezeichnete
„gute“ Gedächtnis: ich merke mir nicht mehr, als wirklich wichtig ist. ‚Tja,
nützt alles nix‘, sagte ich mir, ‚da musste jetzt durch.‘ Also blieb ich stehen und
fragte: „Was hätte sich denn Ihren Wünschen nach ändern sollen?“

„Wissen Sie denn noch, wie das war? Wir haben mit allen meinen Geschwistern
gearbeitet, wo vieles nicht so richtig untereinander läuft. Ich meine, da hat mir
die Aufstellung nichts gebracht.“

Nun kommt es immer mal wieder vor, dass KlientInnen, denen die
Aufstellungs-Methode nicht bekannt ist, erst mal eher verwundert sind. Da gibt
es welche, die sind sehr skeptisch, denken bei sich „alles Quatsch“, auch wenn
sie das höflicherweise für sich behalten, auf der anderen Seite erwarten andere
dafür, dass wahre Wunder geschehen und sich ALLES ändert, nur weil man auf
einen kleinen Teil ihres Lebens mal ein Licht geworfen hat.

Wobei mein Wahlspruch ja tatsächlich ist: „Ich erwarte zwar kein Wunder, aber
ich rechne immer damit.“

Und wirklich haben die Erfahrungen in den vielen Jahren immer wieder gezeigt,
dass sehr überraschende Dinge im Alltag geschehen können.

Zum Beispiel erinnere ich mich an ein Aufstellungs-Wochenende, wo wir
samstags für eine Dame arbeiteten, deren Thema war, dass ihre Tochter seit
Jahren den Kontakt zu ihr abgebrochen hatte. Darunter litt sie sehr und fragte
sich, was sie daran ändern könnte und was überhaupt die tieferliegende
Ursache dafür sein könnte. Das war ihr Auftrag für die Aufstellung gewesen.

Am nächsten Tag kam sie in die Gruppe und strahlte bei der Morgenrunde: „Ihr
glaubt es nicht: Meine Tochter hat gestern von sich aus angerufen!“

Zurück zur mutigen, unzufriedenen Dame von neulich.

„Ja, ich erinnere mich vage, wie sehr es Ihnen am Herzen lag, in Frieden mit
den Geschwistern zu kommen. Sie meinen also, da hat sich gar nichts getan?“

„Tja, wenn ich es recht bedenke: Meinen Frieden habe ich doch tatsächlich mit
ihnen gemacht. Nur hat sich nichts an ihrem Verhalten geändert.“

„Wenn wir diesen Satz einfach mal umdrehen: ‚Zwar hat sich am Verhalten
meiner Geschwister nichts geändert, aber ich konnte dennoch meinen Frieden
mit ihnen machen‘ – hat sich dann nicht doch genau das verändert, was Ihnen
vorher so zu schaffen gemacht hat?“

Wieder einmal musste ich daran denken, was im NLP die „Problem-Amnesie“
genannt wird.

Solange der Mensch akut unter einem Phänomen leidet, kennt er alle
Symptome genau und kann darüber exakt berichten (und tut es ja auch
meistens mit großer Freude und ausführlich in allen Einzelheiten). Sagen wir,
jemand hatte fürchterliche Magenschmerzen und kam deshalb zur Behandlung.
Dann kann es passieren, dass in einer der nächsten Sitzungen eine
Beschwerde kommt, die Behandlung habe ja nicht geholfen, die
Schlafstörungen seien immer noch da. Die erfahrene Therapeutin fragt nach,
ob denn die Magenschmerzen nicht besser geworden seien. Und die Klientin
schaut erstaunt und fragt: „Welche Magenschmerzen denn?!“

Und so schaute mich auch meine ehemalige Klientin mit großen Augen an und
meinte nach einigem Nachsinnen: „Stimmt, so habe ich das noch gar nicht
betrachtet. Dann hat es ja doch geholfen!“


©Sylvia Götting, Blumenstr.9, 50259 Pulheim, www.allerleyraum.de

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